Der „Green Deal“ ist die Wachstumsstrategie, mit der die EU Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent entwickeln will. Aufgrund der Ziele des „Green Deal“ und der dadurch getroffenen Regelungen auf EU-Ebene stehen die Region Stuttgart und das Land Baden-Württemberg vor erheblichen Herausforderungen. In der Sitzung der Regionalversammlung des Verbands Region Stuttgart hat das Land seine Initiativen vorgestellt, mit denen in Brüssel auf die besonderen Herausforderungen für Automotive-Regionen aufmerksam gemacht werden soll. Die Regionalversammlung unterstützt mit großer Mehrheit die Landesregierung Baden-Württemberg bei der Bestrebung, die Förderung von Transformationsregionen in der europäischen Förder- und Beihilfepolitik zu verankern. Das Gremium hat sich zudem für eine Unterstützung der Ziele des „Green Deals“ ausgesprochen.
Die Herausforderungen für die Region Stuttgart und das Land
„Die wohl größte Transformation in der Wirtschaftsgeschichte vor dem Hintergrund multipler Krisen verlangt eine gemeinsame Kraftanstrengung von Unternehmen, Politik, Verwaltung und Gesellschaft“, äußerte sich Michael Kleiner, Ministerialdirektor im Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg.
Der bisher auf den Verbrenner spezialisierte und weltweit wettbewerbsfähige Automotive-Cluster in der Region Stuttgart steht unter hohem Transformationsdruck. Funktionierende Wertschöpfungsketten sind gefährdet. Gleichzeitig müssen Zukunftstechnologien auf- und ausgebaut werden. Internationale Konkurrenz erschwert aber die Ansiedlung und den Ausbau insbesondere grüner Zukunftstechnologien. Produktionsverlagerungen in strukturschwache Gebiete, die teilweise durch EU-Gelder gefördert werden, gefährden das gesamte innovative Hightech-Ökosystem. Die hohe Innovationsfähigkeit und die hohe Wertschöpfung sind in Gefahr und damit die Rolle als eine der wirtschaftlichen „Lokomotiven“ der EU. Die gesamten Veränderungen, inklusive der Gefährdung von Arbeitsplätzen, können erhebliche Auswirkungen auf das soziale Gefüge dieser bisher starken Region haben. „Um die Schlüsseltechnologien der neuen Wertschöpfungsketten nach Baden-Württemberg zu holen und Wohlstand und Arbeitsplätze zu sichern, hat das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus bereits letztes Jahr Eckpunkte einer Ansiedlungsstrategie für Unternehmen erarbeitet. Unsere Kräfte gilt es im harten Konkurrenzkampf um Standorte zu bündeln. Zudem fördern wir Start-ups als Innovationstreiber auf vielfältige Weise“, so Michael Kleiner weiter.
Die Forderungen des Landes an die EU
„Transformationsregionen mit starker industrieller Basis wie Baden-Württemberg dürfen EU-rechtlich im Standortwettbewerb nicht weiter benachteiligt werden. Dies stellt eine Gefahr für unsere Innovationscluster dar und schwächt sowohl die EU insgesamt als auch die Umsetzung des Green Deals. Wir fordern daher Anpassungen im EU-Beihilferecht für faire Wettbewerbsbedingungen“, äußerte sich Michael Kleiner.
Die konkreten Forderungen der Landesregierung lauten:
- die Investitionsprogramme sollen stärker auf Regionen mit Transformationsherausforderungen ausgerichtet sein.
- der Europäische Innovationsfonds soll für Innovationen für Transformationsbranchen geöffnet werden.
- der Just Transition Fund soll ab 2028 unter anderem für Automobilcluster, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen der Zuliefererindustrie, offen sein.
- die Kohäsionspolitik soll einen effektiven Beitrag zur Transformation leisten. Regionen mit hohem Transformationsdruck sollen in angemessener Form berücksichtigt werden.
- das Beihilferecht soll geändert werden. Transformationsregionen brauchen mehr Handlungsspielräume, zum Beispiel bei Ansiedlungen. Die Unterscheidung ausschließlich in starke und schwache Regionen ist nicht mehr zeitgemäß.
Stimmen aus den Fraktionen
„Wir stimmen dem ‚Green Deal‘ zu“, sagt Andreas Koch (CDU/ÖDP). Es sei allerdings der falsche Weg der EU, wenn man nur die strukturschwachen Regionen unterstütze. „Die EU-Politik sollte sich auch verstärkt präventiv einsetzen.“ Entsprechend müsse die Region Stuttgart ab 2028 Berücksichtigung bei den Fördermitteln der EU bekommen. „Denn der Wohlstand der Region ist fragil, in anderen Ländern wurden die Zeichen der Zeit bereits erkannt“, sagt Koch. Ziel sei ein globaler Wettbewerb unter fairen Rahmenbedingungen. „Die EU hat ein rigides Wettbewerbsrecht“, so Koch. „Sie darf künftig nicht den Anschluss verlieren.“
Für Professor Dr. André Reichel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) reicht es nicht nur das Land bei der EU zu unterstützen: „Wir müssen auch als Region selbst aktiv den Transformationsprozess gestalten mit neuen Strukturen und Zielvorgaben.“ Das bedeute, klare Klimareduktionsziele in der Region umzusetzen. Zudem sei die demografische Entwicklung eine Herausforderung der Transformation. „Hier kann die WRS Partnerschaften zwischen Unternehmen aus der Region und Menschen aus dem globalen Süden bilden“, so Reichel. Für den Verband Region Stuttgart bedeutet dies nicht nur eine Willkommenskultur, sondern auch eine Willkommensstruktur in der Region zu schaffen.
Für Andreas Hesky (Freie Wähler) ist das Gelingen der Transformation eine Schicksalsfrage für die Region. „Nicht nur die Automobilindustrie auch andere Branchen stehen vor der Herausforderung der Transformation, die wir als Politik begleiten müssen“, so Hesky. Mit schönen Worten sei es dabei nicht getan: „Daher unterstützen wir den Beschlussvorschlag.“ Aber man wolle auch selbst Transformation gestalten und begleiten. „Hier sind die Regionalversammlung und die Kommunen gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen und zu verbessern, um das Innovations- und Transformationsklima in der Region zu fördern.“
Dr. Jürgen Zieger (SPD) teilt die Einschätzung, dass die Unterscheidung ausschließlich in starke und schwache Regionen nicht mehr zeitgemäß sei. „Gut dotierte Förderprogramme bedürfen wirtschaftlich starker Regionen zur Programmfinanzierung. Der Europäische Fonds für Regionalentwicklung sollte ab 2028 in seinen Fördervoraussetzungen offener gestaltet werden.“ Von daher unterstütze man das Vorgehen der Landesregierung. „Die Transformation der Wirtschaft muss parallel zu den klimaschützenden Maßnahmen zur Erreichung der Ziele des ‚Green Deal‘ erfolgen.“
Für Christian Köhler (AfD/FR) ist der „Green Deal“ der EU ein enges Korsett aus Strafen für die hiesige Wirtschaft. „Unsere Region hat lange von der EU profitiert, der ‚Green Deal‘ ist nun das komplette Gegenteil“, so Köhler. „Das hat nichts mit Innovationen zu tun, sondern sind bloße Anpassungsprozesse.“ Die Gefahren des ‚Green Deal‘ werden in der Vorlage klar benannt: „Warum sollte die Region trotzdem freiwillig die Abwicklung ihrer Wirtschaft aus der Hand geben.“
„Der Green Deal‘, so wie er jetzt geplant ist, gefährdet unsere wirtschaftliche Existenz als Region“, sagt Hartfrid Wolff (FDP). „Von daher kann die Region die Ziele des ‚Green Deal‘ so lange nicht unterstützen, bis die Transformation der Wirtschaft mit entsprechenden Förderprogrammen flankiert wird.“ Darüber hinaus fordert seine Fraktion eine Regionalkonferenz zum Thema „Regionale wirtschaftliche Auswirkungen des Green Deals“. Das Thema sei hochbrisant, da 2024 stehen nicht nur die Regional- sondern auch die Europawahlen vor der Tür stehen.
„Uns alle eint, dass eine hohe Dringlichkeit zur Transformation unserer Industrieproduktion besteht“, sagt Christoph Ozasek (DIE LINKE/PIRAT). Allerdings ist für ihn der Grundfehler des „Green Deal“ der EU, dass er Wachstum befördern will. „Eine tiefgreifende Transformation, und das schließt den Übergang zu einer Postwachstumsökonomie mit ein, muss hier und jetzt greifen.“, so Ozasek. Die Beschlussvorlage täusche über die ausbleibenden Erfolge und unzureichenden Anstrengungen beim Klimaschutz und der Transformation hinweg.