STUTTGART: Betriebliche Verbesserungen bei der S-Bahn, speziell ein 15-Minuten-Takt früh morgens und am späteren Abend, haben Vorrang vor dem Bau neuer S-Bahn-Strecken. Höchste Priorität räumen die Fraktionen und Gruppen einer S-Bahn nach Göppingen und der Einführung des VVS-Tickets im Landkreis Göppingen ein. So lautet das Fazit der heutigen Diskussion im Verkehrsausschuss.
Anlass waren die Ergebnisse einer Studie des Verkehrswissenschaftlichen Instituts der Universität Stuttgart, die der Verband Region Stuttgart in Auftrag gegeben hat. Diese zeigt die langfristigen Perspektiven der S-Bahn auf. Neben betrieblichen Änderungen werden darin die Verlängerung bestehender S-Bahn-Linien und komplett neue S-Bahn-Strecken vorgeschlagen. Die Erkenntnisse werden in die Aktualisierung des Regionalverkehrsplans einfließen. Weitere Gespräche und Untersuchungen sollen Klarheit über die Kosten und den Nutzen bringen.
Etwa 100 Möglichkeiten, das S-Bahn-Netz zu erweitern, haben die Wissenschaftler untersucht. Herausgekommen ist eine vierstufige „Rangliste“ von S-Bahn-Projekten. Zunächst halten die Gutachter, eine S 1-Verlängerung ins Filstal nach Süßen (im zweiten Schritt nach Donzdorf) sowie die Verlängerung der S 5 nach Vaihingen/Enz (im zweiten Schritt nach Vaihingen-Enzweihingen) für sinnvoll. In einem dritten Schritt – wenn Stuttgart 21 realisiert ist - schlagen sie vor, die S 2 nach Neuhausen zu verlängern sowie eine neue Tangentiallinie S 7 von Ludwigsburg nach Donzdorf bzw. Kirchheim/Teck vor. Der vierte Schritt baut darauf auf und empfiehlt, die Verlängerung der S 2 von Neuhausen über Wendlingen nach Plochingen. Eine weitere Idee: eine Tangentiallinie S 8 zwischen Böblingen und Nürtingen.
Regionaldirektorin Jeannette Wopperer verwies eingangs darauf, dass es „sehr wichtig ist, Perspektiven zu untersuchen, um beispielsweise der demografischen Entwicklung und dem Wettbewerb mit anderen Metropolregionen Rechnung zu tragen.“ Es handele sich um erste Ideen, die gegebenenfalls konkretisiert werden müssen. Die S-Bahn müsse als Rückgrat des ÖPNV attraktiv bleiben. Bei S-Bahn-Verbindungen außerhalb der Region, zum Beispiel nach Calw oder Nagold, müssten sich die Partner, was die Finanzierung angeht, klar äußern.
Rainer Ganske (CDU) sah Kosten und Finanzierung neuer S-Bahn-Strecken angesichts der Haushaltssituation als „durchaus problematisch“. Doch, um in einigen Jahren schnell reagieren zu können, müssten schon heute strategische Überlegungen für die S-Bahn angestellt werden. „Wir können mit kleineren Maßnahmen einiges schnell bewegen“, sagte er im Hinblick auf einen 15-Minuten-Takt oder Nacht-S-Bahnen. Eine S-Bahn nach Calw oder Nagold dürfe keine Verschlechterung für Region Stuttgart bringen. Die Kosten müssten von außen getragen werden.
„Wir müssen heute planen, damit wir das, was wir morgen wollen, übermorgen bekommen“, sagte Thomas Leipnitz (SPD). Betriebliche Verbesserungen müssten zum Fahrplanwechsel 2010 umgesetzt werden. Den größten Nutzen und Effekt erkennt er in der Ausdehnung des 15-Minuten-Takts am Abend. „Das S-Bahn-Angebot muss einen Metropolcharakter bekommen.“ Im Hinblick auf Finanzierung, Aufgabenträger und Betrieb habe seine Fraktion „Vorbehalte“ bei Projekten über die Regionsgrenze hinaus.
„Die Studie liest sich wie ein Wunschzettel zu Weihnachten“, formulierte Bernhard Maier (Freie Wähler). Er plädierte dafür, „den Blick auf die Realität“ zu richten. So hätten Städte und Gemeinden kein Geld und „die Zuschusstöpfe des Landes sind leer“. Es müsse der Eindruck vermieden werden, dass alles rasch umgesetzt werde. Maier schloss sich der Priorisierung an. Projekte im Bestand hätten Vorrang.
Eva Mannhardt (Grüne) nannte die Studie eine „sehr gute Grundlage“ und forderte Verbesserungen im bestehenden S-Bahn-Verkehr. Die Region Stuttgart „hat sehr großen Nachholbedarf“. Es sei dringend notwendig, „zu Potte zu kommen“.
„Wenn die Transportkette halten soll, muss noch eine größere Abstimmung mit der SSB und den Busunternehmen erfolgen“, so Wolfgang Hoepfner (Die Linke). Tangentialstrecken komme eine besondere Bedeutung zu, da der Hauptbahnhof schon heute stark belastet sei.
Für Dr. Wolfgang Weng (FDP) stelle sich die Frage nach Prioritäten und dem Zeitpunkt von Maßnahmen. Einzelfallbewertungen müssten folgen. Tarifliche Fragen würden immer wieder neu zu diskutieren sein, besonders im Hinblick auf die Kostendeckung. Bei der Vorfinanzierung von S-Bahn-Projekten sei „eine Grenze erreicht“.