Flächendruck
Kann Kompensation den Flächendruck entschärfen?
In dicht besiedelten Räumen wie der Region Stuttgart ist der Druck auf die unbebaute Fläche hoch. Die Landwirtschaft benötigt gute Böden als Ackerflächen zur Produktion von Nahrungsmitteln; Natur-, Landschafts- und Klimaschutz erfordern den Erhalt und die Entwicklung von naturschutzfachlich hochwertigen Grünflächen als Lebensräume und Siedlungszäsuren, die Bevölkerung benötigt den Freiraum zur Erholung und Freizeitgestaltung. Gleichzeitig besteht jedoch weiterhin Bedarf an Entwicklungsflächen für Wohnen, Gewerbe, Energiegewinnung sowie Infrastruktur. Durch das anhaltende Bevölkerungswachstum insbesondere in den Städten, den Strukturwandel beispielsweise in der Automobilindustrie, sowie den steigenden Bedarf an Flächen für die Entwicklung innovativer Technologien konkurrieren die verschiedenen Flächennutzungsansprüche stark miteinander.
In diesem Kontext hochwertige Flächen für den naturschutzrechtlichen Ausgleich nicht vermeidbarer baulicher Eingriffe zu finden, wird immer schwieriger.
Verschiedene Flächennutzungsansprüche auf begrenzter Fläche zu erfüllen kann nur über eine vorausschauende, integrierende Planung sowie die multifunktionale Nutzung des Raumes gelingen. Für die naturschutzrechtliche Kompensation bietet der multifunktionale Ansatz die Chance, durch die Kombination mit anderen Flächennutzungen neben Natur- und Artenschutz weitere Belange wie Hochwasserschutz, Klimaanpassung, Naherholung und Umweltbildung zu bedienen. Kompensation kann dadurch dazu beitragen, dass der Freiraum neben ökologischen Funktionen weiterhin auch soziale, historisch-kulturelle, ökonomische und raumstrukturelle Funktionen übernehmen kann.
Grundlage für die multifunktionale Ausgestaltung von Maßnahmen ist ein Aufbrechen des Ressortdenkens, eine interdisziplinäre und integrierte Herangehensweise und Planung, eine frühzeitige Einbindung und intensive Zusammenarbeit aller Beteiligten sowie gegenseitiges Verständnis für die verschiedenen Flächenansprüche. Nur wenn die vielfältigen Interessen der Akteure in der Stadtregion analysiert und verstanden werden, kann es gelingen, multifunktionale und damit flächensparende Kompensationsmaßnahmen mit Mehrwehrt zu planen und realisieren.
Beispiele für Multifunktionalität in der Kompensation sind die produktionsintegrierte Kompensation, die naturnahe Anlage von Hochwasser-Retentionsflächen im Zuge einer Kompensationsmaßnahme oder die Verbindung von Ausgleichsmaßnahmen mit den Aspekten Umweltbildung und Naherholung.
Gleichwohl birgt die Multifunktionalität das Risiko der gegenseitigen Beeinträchtigung verschiedener Nutzungsansprüche. So kann sich eine Erholungsnutzung negativ auf störungsempfindliche Arten auswirken, Maßnahmen zur Gestaltung des Landschaftsbildes wie die Eingrünung durch Hecken können die Lebensraumansprüche von Offenlandarten konterkarieren und die landwirtschaftliche Produktion kann durch Erholungsuchende auf gemeinsam genutzten Wegen beeinträchtigt werden. Auch diesbezüglich ist eine gute Planung und gezielte Öffentlichkeitsarbeit zur Sensibilisierung für die Bedürfnisse anderer Nutzergruppen unabdingbar.
Leitlinien für eine zukünftige Kompensation mit Mehrwert
Wie können Kompensationsmaßnahmen in Zukunft so ausgestaltet werden, dass sie fachgerecht und im erforderlichen Umfang umgesetzt werden und gleichzeitig Vorteile für weitere Landschaftsfunktionen entstehen? Als Beantwortung auf diese Frage wurden drei Schwerpunkte für mögliche Mehrwerte formuliert: räumlich, funktional und prozessual. Als zentrale Erkenntnis des Forschungsprojektes definieren diese frei Aspekte den Handlungsrahmen für eine "Kompensation mit Mehrwert".
Politikempfehlung für eine Kompensation mit Mehrwert
In Form von neun Forderungen macht das Politikpapier auf derzeitige Defizite im Kompensationsgeschehen aufmerksam. Es zeigt auf, welche politischen Maßnahmen zur Verbesserung der Kompensation nötig sind. Die Empfehlungen werden mit Beispielen von Vorreiter-Initiativen hinterlegt, die illustrieren, welche Potenziale sich entfalten können, und Hinweise darauf geben, wie sich der jeweilige Ansatz in die Praxis umsetzen lässt. Die aufgestellten Forderungen richten sich an politische Entscheidungsträger*innen auf den Ebenen des Bundes, der Länder und der Kommunen.