STUTTGART: 83 nagelneue S-Bahn-Züge mit mehr Komfort, Klimaanlagen, Fahrgast-Infos in Echtzeit und Videokameras. Und das Ganze ohne einen Cent zusätzliche öffentliche Gelder in die Hand zu nehmen. Im Gegenteil: „Trotz der spürbar besseren Qualität werden die Kosten pro Zug-Kilometer sogar sinken“, bringt Regionalpräsident Thomas S. Bopp die augenfälligsten Vorteile des neuen S-Bahn-Vertrags auf den Punkt. „Bereits in drei Jahren sollen die ersten S-Bahn-Züge des neu entwickelten Typs ET 430 fahren“, ergänzt Wirtschaftsdirektor Dr. Jürgen Wurmthaler. Dies sei dank enormer Energieeinsparungen auch unter ökologischen Gesichtspunkten ein Gewinn.
„Mit enger Einbindung der Regionalversammlung ist es gelungen, einen weitsichtigen und wirtschaftlichen Vertrag zu verhandeln, der langfristig einen hochkarätigen S-Bahn-Verkehr sichert“, bewertet Thomas S. Bopp den Vertrag.
Regionalversammlung hat das letzte Wort
Wie der S-Bahn-Betrieb von 1. Juli 2013 bis zum Jahr 2028 aussehen wird, regelt das gut 600 Seiten starke Vertragswerk, das zwischen dem Verband Region Stuttgart und der DB Regio AG ausgehandelt worden ist. Die Regionalversammlung des Verbands Region Stuttgart wird am Mittwoch, 4. März über den Abschluss des Vertrags entscheiden.
„Wenn die Qualität stimmt, wenn sich die Fahrgäste also wohl und sicher fühlen, steigen auch noch mehr Menschen in die S-Bahnen“, gibt Dr. Jürgen Wurmthaler einschlägige Erkenntnisse der Verkehrswissenschaft wieder. Deshalb habe der Verband Region Stuttgart neben der Wirtschaftlichkeit und EU-Rechtskonformität des Vertrags, vor allem auch Qualitätsverbesserungen für die Fahrgäste im Blick gehabt.
Er skizziert die Eckpunkte des S-Bahn-Vertrags:
1. Neue S-Bahn-Fahrzeuge:
Mehr Komfort ohne Belastung öffentlicher Kassen
Mit Vertragsbeginn im Juli 2013 werden ausschließlich klimatisierte S-Bahn-Fahrzeuge des neuen Typs ET 430 und des neuwertigen Typs ET 423, der heute schon auf den Linien S 1 und S 3 fährt, unterwegs sein. Das Durchschnittsalter der S-Bahn-Fahrzeuge sinkt auf 5,6 Jahre. Auch unter ökologischen Gesichtspunkten machen sich die neuen Fahrzeuge bezahlt. Dr. Jürgen Wurmthaler: „Der jährliche Energiebedarf wird um etwa 61 Millionen Kilowattstunden sinken“. Das entspreche dem Jahresverbrauch von rund 19.000 Haushalten, also der Anzahl der Haushalte einer Stadt wie Bietigheim-Bissingen.
Die Anschaffung der 83 neuen S-Bahn-Fahrzeuge durch die DB Regio AG löst darüber hinaus ein Investitionsprogramm von über 400 Millionen Euro aus. „Weder die Region noch das Land müssen für die Fahrzeugfinanzierung mit zusätzlichen Geldern aufkommen“, so Dr. Jürgen Wurmthaler. Regionalpräsident Thomas. S. Bopp spricht von „doppelter Generationengerechtigkeit“: „Wir sichern zukunftsfähige S-Bahn-Mobilität und müssen keine Schulden machen“. Sie erinnerten daran, dass der Verband Region Stuttgart und das Land Baden-Württemberg in den Jahren 2003 bis 2005 insgesamt 27 dringend benötigte S-Bahn-Fahrzeuge mit je rund 50 Millionen Euro finanzierten. Die damalige Anschaffung war notwendig, um die S-Bahn-Flotte zu erneuern und um die Tür zum Wettbewerb überhaupt erst aufstoßen zu können.
2. Noch höhere Anforderungen an die Qualität
„Die heute schon hohen Anforderungen an die Qualität des S-Bahn-Verkehrs werden konsequent weiterentwickelt“, so Dr. Jürgen Wurmthaler. Sollte die DB Regio AG die gemeinsam vereinbarten Zielwerte bei Pünktlichkeit, Sauberkeit oder auch Information der Fahrgäste verfehlen, werde wie bisher eine Ausgleichszahlung („Pönale“) an den Verband Region Stuttgart fällig, allerdings in einem deutlich größeren Volumen als bisher. Sollte die Qualität, die regelmäßig überprüft wird, in Bezug auf Pünktlichkeit und Zugausfall unter einen Mindestwert rutschen, habe die Region sogar ein Sonderkündigungsrecht. Die Konsequenz dieser Regelungen liegen für Dr. Wurmthaler auf der Hand: „Die DB Regio AG hat ein sehr hohes Eigeninteresse, den Vertrag bestens zu erfüllen“.
3. Sicherheitsgefühl wird weiter gestärkt
Die Fahrgäste fühlen sich in der S-Bahn sicher. Das zeigen die regelmäßigen Befragungen, bei denen die Sicherheit stets am besten abschneidet. „Wir möchten, dass dies so bleibt. Deshalb wird, speziell auch in den Abendstunden, wesentlich mehr Sicherheitspersonal eingesetzt werden“, macht Dr. Jürgen Wurmthaler deutlich. Im Vergleich zum heutigen Vertrag sei eine Verzehnfachung der Kontrollgänge und -fahrten vereinbart.
Bis zum Juli 2013 werden alle Fahrzeuge des bisher schon eingesetzten Typs ET 423 mit Videokameras ausgestattet sein, so dass in allen Zügen der kompletten S-Bahn-Flotte Videokameras vorhanden sein werden. „Auch diese technische Unterstützung erhöht das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste“, so Dr. Wurmthaler.
4. Wirtschaftlicher Vertrag, geringere Kosten pro Zug-Kilometer
Trotz Qualitätsverbesserungen und trotz neuer Fahrzeuge sinken die Kosten pro Zug-Kilometer von 6,37 Euro auf 6,14 Euro. Darin ist bereits berücksichtigt, dass künftig durch die neuen Linien S 1 (Plochingen-Kirchheim/Teck), S 4 (Marbach-Backnang) und S 60 (Böblingen - Renningen) mehr Fahrleistungen erbracht werden. Dr. Wurmthaler beziffert die Einsparungen für die öffentliche Hand auf etwa zwei Millionen Euro pro Jahr – wenn man zum Preisstand 2009 dem heutigen Vertrag das Verkehrsangebot von 2013 zugrunde legt.
Bleibt die Frage: Ist der Vertrag auch wirtschaftlich und mit dem Beihilferecht der EU vereinbar? „Ja“, sagt eine im Nahverkehr ausgewiesene Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in ihrem positiven Prüfergebnis. Darin wird dem Angebot von DB Regio eine gesamthafte Wirtschaftlichkeit von Kosten und Einnahmen unter Berücksichtigung von Wagnis und Gewinn sowie die Vereinbarkeit mit den Vorgaben nach dem europäischen Beihilferecht bestätigt. „Dieser freiwillige Gegencheck war für uns wichtig, da wir aufgrund des Wettbewerbsverlaufs keine Vergleichangebote von anderen Verkehrsunternehmen hatten“, führt Dr. Jürgen Wurmthaler aus. Er sagt weiter: „DB Regio hat dem Wirtschaftsprüfer ihre Bücher offen gelegt. Mehr Kostentransparenz geht nicht.“
5. Netto-Vertrag: Einnahmerisiko liegt bei DB Regio
Auch der neue Vertrag mit DB Regio soll wie bisher als „Netto-Vertrag“ abgeschlossen werden. Damit zahlt der Verband Region Stuttgart über Regionalisierungsmittel die Differenz aus Betriebskosten und den Fahrgeldeinnahmen, die die DB Regio AG direkt aus dem VVS-Topf erhält. Dr. Wurmthaler macht klar: „Das wirtschaftliche Risiko sowohl hinsichtlich der Höhe der Fahrgeldeinnahmen, als auch bezüglich des Anteils am VVS-Einnahmetopf, liegt bei der DB Regio AG“. Um den S-Bahn-Betrieb möglichst flexibel auf die Nachfrage anpassen und um auf mögliche Änderungen bei der Verkehrsfinanzierung reagieren zu können, sieht der Vertrag mögliche Zu- oder Abbestellungen von 25 Prozent der Kilometerleistung vor.
6. Vorausschauende Weichenstellung für den S-Bahn-Verkehr der Zukunft
Bereits im laufenden S-Bahn-Vertrag sind die Grundlagen für das Wettbewerbsverfahren um den Vertrag ab 2013 angelegt gewesen. „Der jetzt vorgelegte Vertrag enthält Weichenstellungen für einen Wettbewerb ab 2028 “, sagt Dr. Wurmthaler. Und er verschweigt nicht, dass sich die Erfahrungen mit dem jüngsten Wettbewerbsverfahren und den Mitbewerbern der DB Regio AG deutlich darin niederschlagen. So habe sich die DB Regio AG verpflichtet, auf Wunsch eines neuen Betreibers ab 2028 bis zu drei Jahre als Unterauftragnehmer zu fahren sowie Werkstattleistungen anzubieten. Beide Dienstleistungen sind mit Kalkulationsgrundlagen hinterlegt. Dies ermöglicht Dritten, sich einen Überblick über die Betriebskosten zu verschaffen.
7. Gestaltungsauftrag der öffentlichen Hand vorbildlich erfüllt
In dem Vertrag sieht Regionalpräsident Thomas S. Bopp den besten Beleg dafür, dass der Verband Region Stuttgart seinen Auftrag als S-Bahn-Aufgabenträger vorbildlich erfüllt. „Die Region hat ihren Gestaltungsauftrag ernst genommen und unter schwierigen Rahmenbedingungen im Sinne der Fahrgäste, der Steuerzahler, der Ökologie und der Wirtschaft ein gutes Ergebnis erzielt“, so Bopp weiter.
Der Wettbewerb um den Betrieb der S-Bahn…
…war vom Verband Region Stuttgart im November 2006 europaweit ausgeschrieben worden. Nach einer geänderten Rechtssprechung war das laufende Verfahren im Juli 2007 aufgehoben und ein neues Wettbewerbsverfahren eingeleitet worden. Fünf renommierte Eisenbahnverkehrsunternehmen hatten ihr Interesse am Betrieb der S-Bahn Stuttgart bekundet, ein Unternehmen musste wegen Formfehlern ausgeschlossen werden. Die verbleibenden vier Unternehmen hatten die Unterlagen zur Abgabe eines ersten Angebots erhalten. Ausschließlich die DB Regio AG gab fristgerecht bis 30. März 2008 ein Angebot ab. Es folgten mehr als 70 Verhandlungsrunden mit der DB Regio AG, in denen der vorliegende Vertrag erarbeitet wurde.
Das dreiköpfige Verhandlungsteam des Verbands Region Stuttgart leitete nach dem Tod von Dr. Bernd Steinacher Wirtschaftsdirektor Dr. Jürgen Wurmthaler. Während des Verfahrens wurde zusätzlich externer Sachverstand eingebunden.
Bei dem Vertrag über den Betrieb der S-Bahn von 2013 bis 2028 handelt es sich mit rund 9,8 Millionen Zug-Kilometern pro Jahr um die bislang größte Vergabe eines bestehenden S-Bahn-Systems in Deutschland. In den S-Bahnen der sechs Linien fahren täglich rund 330.000 Menschen.